Veröffentlicht in Frauenarzt 2013; 54(1):58-59.

Bessere Patientenführung durch gezielten Einsatz von Nocebo- und Placebo­kommunikation

Das Denken in den Kategorien Nocebo- und Placeboeffekt kann dazu beitragen, die ärztliche Kommunikation mit Patienten gezielter zu steuern und ein besseres Therapieergebnis zu erreichen.

Eine negative Erwartungshaltung hat eine starke Auswirkung auf den Therapieerfolg. In seinem hervorragenden Buch »Nocebo: Wer’s glaubt, wird krank« berichtet Dr. med. Magnus Heier von dem Suizidversuch eines jungen Patienten.1 Der Mann schluckte 26 Kapseln eines Antidepressivums und wurde in einem lebensbedrohlichen Stadium in die Klinik gebracht. Trotz intravenöser Infusionen konnte er nicht stabilisiert werden. Die Medikamente hatte der Patient im Rahmen einer klinischen Studie erhalten. Was er zunächst nicht wusste: Er war im Placebo-Arm der Studie. Erst als man ihn hierüber aufklärte, verschwanden seine Symptome.

Dieser Fall ist ein Paradebeispiel für den Noceboeffekt. Wie der Placeboeffekt, beruht der Noceboeffekt auf einer bestimmten Erwartungshaltung. Erwartet ein Patient, der besonders nervös ist oder eine bestimmte Therapie ablehnt, eine schädigende Wirkung, so tritt sie wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung möglicherweise häufiger ein. Dies gilt nicht nur für unspezifische Reaktionen wie Kopfschmerzen, Schwindel usw. So zeigte sich in der Framingham-Herz-Studie: Frauen, die selbst glaubten, für Herzerkrankungen anfällig zu sein, starben tatsächlich viermal häufiger an solchen Erkrankungen.2

Der dem Noceboeffekt zugrunde liegende psychische Mechanismus ist nicht exakt aufgeklärt. Die erzeugte Erwartungshaltung und die Konditionierung aus vergangenen Erlebnissen spielen dabei wohl eine große Rolle. Hier scheint es auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu geben: Bei einem Lernexperiment mit Übelkeitssymptomen, ausgelöst durch einen Drehstuhl, ließen sich Frauen stärker durch ihre Konditionierung und Männer durch ihre Erwartungen negativ beeinflussen.3

Im Zusammenhang mit dem Noceboeffekt können auch physiologische Effekte relevant sein. So löst der bei psychisch induzierten Schmerzen in der Darmschleimhaut gebildete Botenstoff Cholecystokinin (CCK) eine Schmerzreaktion aus. Dieser Mediator ist vermutlich dafür verantwortlich, dass bei einer Medikamenteneinnahme Nebenwirkungen gehäuft auftreten, wenn der Patient diese erwartet.4

Cyberchondrie dank Dr. med. Google

Heute werden viele Patienten durch das Internet krank. Das Internet ist genau wie andere Medien ein Zerrspiegel der Realität. Nicht die gute Verträglichkeit eines Arzneimittels, die komplikationslose Operation oder der symptomarme Verlauf einer Krankheit stehen im Vordergrund, stattdessen wird stets das Sensationelle betont: die kaum zu ertragenden Nebenwirkungen, die fatal verlaufende Operation, die in kürzester Zeit zum Tode führende Erkrankung. Wer Kopfschmerzen hat, verlässt das Internet mit der Verdachtsdiagnose eines Hirntumors. Wer ein harmloses Taubheitsgefühl verspürt, kommt kaum an der MS vorbei, wem der Muskel zuckt, stößt schnell auf die tödlich verlaufende Amyotrophe Lateralsklerose. Die exzessive Netzrecherche macht krank, das Internet ist ein Nocebo.

Patienten vor Nocebos schützen

Umso stärker sind Sie als Gynäkologe heute als Korrektiv für die netzinduzierte Angst Ihrer Patientinnen gefordert. Jeder Arzt weiß: Je vertrauensvoller das Therapiebündnis, desto besser das Therapieergebnis. Bemerkungen wie »Sie sind ein Risikopatient« oder »Wahrscheinlich werden Sie Nebenwirkungen verspüren« erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein dementsprechendes Therapieerlebnis. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.

Trotz der ärztlichen Verpflichtung, den Patienten umfassend aufzuklären, sollten Sie versuchen, Nocebokommunikation zu vermeiden. Je unterschiedlicher der Verlauf, desto extremer können Nocebos Patienten schaden. Beispiel familiärer Brustkrebs: Unbekannt ist die Anzahl von Patientinnen, die aus Furcht vor einer ungünstigen Prognose auf die Gründung einer Familie verzichten, ein Studium abbrechen oder in eine tiefe Depression verfallen. Im Internet finden sich nicht die positiven Verläufe, es stehen nicht die Patienten im Fokus, die gelernt haben, mit ihrer Krankheit umzugehen.
Umso wichtiger ist es, die Aufklärung in einen positiven Kontext zu stellen. Zeigen Sie Auswege auf, wie die Patientin durch ihren eigenen Beitrag das Therapieergebnis verbessern oder einer möglicherweise auftretenden Nebenwirkung entgegenwirken kann. Kommunizieren Sie klar und versuchen Sie, die Patientin dosiert zu euphorisieren – es wird ihre Compliance fördern und damit auch die Wirksamkeit der verordneten Arzneimittel oder Medizinprodukte. Eine größere Therapiezufriedenheit und Arztzufriedenheit sind die Belohnung.

Nocebokommunikation

Placebokommunikation

»Wir versuchen es mal mit diesem Medikament.«

»Dieses Medikament hat schon bei vielen Patienten gute Resultate gebracht.«

»Der Befund ist negativ.«

»Ihre Werte sehen gut aus.«

»Sie sind ein Risikopatient.«

»Wir werden besonders gut darauf achten, wie Sie auf die Behandlung reagieren.«

»Der Eingriff ist nicht sehr schmerzhaft.«

»Das ist ein kleiner Eingriff, den Sie nur ganz leicht spüren werden.«

»Ist Ihnen übel?«

»Wie fühlen Sie sich?«

Tabelle: Beispiele für Nocebokommunikation und deren Vermeidung

Nocebo-Auslöser meiden

Viele Nocebo-Auslöser in der Kommunikation entstehen durch unbeabsichtigt negative Aussagen. Dazu zählen Worte, die Verunsicherung ausdrücken wie »vielleicht«, doppeldeutige Worte wie »jemanden fertigmachen«, negative Suggestionen und das Lenken der Aufmerksamkeit auf Schmerzen und Beschwerden. Bemerkenswert ist auch, dass das Unterbewusstsein Verneinungen nicht wahrnimmt, also von den »geringen Schmerzen« hauptsächlich die »Schmerzen« beim Patienten registriert werden. Sensibilisieren Sie sich für Ihre Sprache und betonen Sie das Positive. Krankheit bedeutet immer einen Ausnahmezustand für die Patientin und lässt sie daher stärker auch auf vermeintliche Kleinigkeiten reagieren.

Nocebokommunikation durch Placebokommunikation neutralisieren

In unseren Seminaren zur Patientenkommunikation empfehlen wir, den Noceboeffekt durch seinen »guten« Zwillingsbruder zu vertreiben: den Placeboeffekt. Genau wie der Noceboeffekt durch eine negative Erwartungshaltung ein negatives Therapieergebnis herbeiführen oder verstärken kann, vermag der Placeboeffekt eine positive Wirkung herbeizuführen. Viele denken bei Placebo an Medikamente. Mindestens genauso mächtig ist aber die Placebowirkung einer effektiven Kommunikation, das wissen auch die meisten Ärzte. Wenn Sie also Ihrer Patientin schon ein Nocebo verabreichen müssen, z.B. durch eine Aufklärung über die Risiken einer Therapie oder durch eine ungünstige Prognose, dann sollten Sie gezielt mit dem Placeboeffekt gegensteuern, also der heilenden Wirkung beruhigender Worte und positiver Kommunikation.

Fazit: Placebokommunikation nutzen, Nocebokommunikation vermeiden

Ärzte kennen den Placeboeffekt. Weniger bekannt ist die krankheitsauslösende Wirkung negativer Erwartungen – der Noceboeffekt. Dabei gibt gerade das Wissen um beide Effekte dem Arzt die Möglichkeit, auf das Therapieergebnis gezielt positiv einzuwirken.

Literatur:

1 Heier M: Nocebo: Wer’s glaubt, wird krank. Hirzel, Stuttgart 2011.
2 Voelker R: Nocebos contribute to host of ills. JAMA 275 (1996) 345–347.
3 Häuser W, Hansen E, Enck P: Nocebo phenomena in medicine: their relevance in everyday clinical practice. Dtsch Arztebl Int 109 (2012) 459–465.
4 Colloca L, Benedetti F: Nocebo hyperalgesia: how anxiety is turned into pain. Curr Opin Anaesthesiol 20 (2007) 435–439.

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