Veröffentlicht in PM-Report 2012; 31(10):14-16
Patientenkommunikation in Zeiten von Informationsinfarkt und Cyberchondrie
Die direkte Kommunikation mit Patienten wird für Pharmaunternehmen und Medizinprodukteindustrie immer wichtiger, doch wie kann man sich gegen ein überbordendes Informationsangebot im Internet durchsetzen und Kommunikationsprobleme wie den Noceboeffekt meistern? Wir geben einen Überblick über aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze.
Der Informationsinfarkt
Der Patient kann heute im Internet unter zahlreichen Informationsangeboten auswählen – und es werden ständig mehr. Neben kommerziellen Anbietern wie Pharmaunternehmen, Medizinprodukteindustrie, Krankenkassen und Kliniken sind es medizinische Fachgesellschaften, Stiftungen, Standesorganisationen von Ärzten und deren Ableger, die das Feld für sich entdeckt haben. Hinzu kommen Online-Magazine, Gesundheitsportale, Wikis, Blogs usw. Wie sollen Pharma- oder Medizintechnikunternehmen es angesichts dieser Informationsflut überhaupt noch schaffen, Patienten zu erreichen? Die Antwort lautet: Intelligenter kommunizieren. Nicht das hundertste Webangebot zum Thema Bluthochdruck wird noch wahrgenommen, aber die hochwertig gestaltete Patientenbroschüre, die der Arzt gerne weitergibt, die smarte App, die dem Patienten echten Mehrwert bietet oder der informative Expertenchat haben gute Chancen, zum Patienten durchzudringen. Was intelligente Kommunikation im Einzelfall ist, bestimmt dabei das konkrete Informationsbedürfnis der Zielgruppe. Deswegen sollte vor der Konzeption eines konkreten Angebots genau untersucht werden, was die Zielgruppe wirklich beschäftigt. Nicht immer steht die Krankheit so im Vordergrund wie man vermuten könnte. In Patientenforen wird oft mehr über Probleme des täglichen Lebens diskutiert als über medizinische Fakten. Die Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen kann helfen, Angebote zu filtern und Informationsbedarf zu erkennen.
Cyberchondrie dank Dr. med. Google
Das Internet ist genau wie andere Medien ein Zerrspiegel der Realität. Nicht die gute Verträglichkeit eines Arzneimittels, die komplikationslose Operation oder der symptomarme Verlauf einer Krankheit steht im Vordergrund, stattdessen wird stets das Sensationelle betont: Die kaum zu ertragenden Nebenwirkungen, die fatal verlaufende Operation, die in kürzester Zeit zum Tode führende Erkrankung. Wer Kopfschmerzen hat, verlässt das Internet mit der Verdachtsdiagnose eines Hirntumors. Wer ein harmloses Taubheitsgefühl verspürt, kommt kaum an der MS vorbei, wem der Muskel zuckt, stößt schnell auf die tödlich verlaufende Amyotrophe Lateralsklerose. Die exzessive Netzrecherche macht krank. Das Netz weiß alles, kann aber nichts relativieren. Und es lässt den Patienten mit seinen Selbstdiagnosen allein und ratlos zurück.
Der Beipackzettel macht krank
Neben der Cyberchondrie ist der Beipackzettel der häufigste Auslöser für einen Noceboeffekt. Wer den Beipackzettel liest, bekommt zwangsläufig Angst: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sind dabei noch die harmlosesten Symptome. Der anaphylaktische Schock, der plötzliche Herztod, die kritische Blutbildveränderung: Nebenwirkungen, die in 100.000 Fällen auch nur einmal beobachtet wurden, müssen aus juristischen Gründen im Beipackzettel aufgeführt werden. Sie verängstigen den Patienten und reduzieren seine Compliance. Eine Umfrage der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zeigt, dass sich viele Patienten durch die Packungsbeilagen von Medikamenten extrem verunsichert fühlen. Fast 50 % der Befragten bewerteten Beipackzettel als schlecht lesbar oder unverständlich. 58 % finden die Informationen zu kompliziert oder zu ausführlich. Und 37 % aller Befragten macht der Beipackzettel Angst, bei Menschen über 65 Jahren ist es sogar jeder Zweite, der sich durch den Beipackzettel verängstigt fühlt.
Was können Pharmaunternehmen hiergegen tun?
Momentan wenig, sie haben bei Beipackzetteln nur einen geringen Spielraum. Inhalt und Reihenfolge der Themen sind gesetzlich vorgeschrieben. Doch es gibt Anlass zur Hoffnung: Inzwischen hat sich die EU-Kommission des Themas angenommen. Beipackzettel sollen einfacher formuliert werden – und seltene Nebenwirkungen könnten gestrichen werden.
Die Hoffnung stirbt zuerst
Jeder Arzt weiß: Je vertrauensvoller das Therapiebündnis, desto besser das Therapieergebnis. Der Gedanke liegt nahe, den Noceboeffekt durch seinen »guten« Zwillingsbruder zu vertreiben – den Placeboeffekt. Genau wie der Noceboeffekt durch eine negative Erwartungshaltung ein dementsprechendes Therapieergebnis herbeiführen oder verstärken kann, vermag der Placeboeffekt eine positive Wirkung auszulösen. Dabei sind zwei Faktoren entscheidend: Positive Kommunikation und Vertrauen. Zur positiven Kommunikation gehört, dem Patienten Hoffnung zu machen. Die erste Aufklärung über die Krankheit bestimmt entscheidend den weiteren Verlauf. Je unterschiedlicher der Verlauf Erkrankung sein kann, desto extremer kann sich hier zu viel Pessimismus auswirken. Auch hier wieder das Beispiel MS: Unbekannt ist die Anzahl von Patienten, die aus Furcht vor einem ungünstigen Verlauf auf die Gründung einer Familie verzichten, ein Studium abbrechen oder in eine tiefe Depression verfallen. Im Internet finden sich nicht die positiven Verläufe, es stehen nicht die Patienten im Fokus, die kaum unter Ihrer Krankheit leiden.
Als kommunizierendes Unternehmen Vertrauen schaffen
Auch als kommunizierendes Unternehmen steht man in der Verantwortung, den Patienten mit Augenmaß zu informieren. Unsere Empfehlung an Unternehmen: Stellen Sie die Patientenkommunikation immer in einen positiven Kontext. Zeigen Sie Auswege auf, wie der Patient durch seinen eigenen Beitrag das Therapieergebnis verbessern oder einer möglicherweise auftretenden Nebenwirkung entgegenwirken kann. Kommunizieren Sie klar und versuchen Sie, den Patienten dosiert zu euphorisieren, es wird seine Compliance fördern und damit auch die Wirksamkeit der von Ihnen angebotenen Arzneimittel oder Medizinprodukte. Eine größere Therapiezufriedenheit ist die Belohnung.
Die Beziehung von Patienten zu Arzneimitteln ist ambivalent. Man nimmt sie, weil man krank ist. Das Medikament wird der Patient niemals wie ein Konsumgut lieben, da kann die Markenkommunikation noch so emotional sein. Hinzu kommt das latente Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie, die in den Augen des Patienten von seinem Leid profitiert. Wie kann man dem entgegensteuern? Die Antwort lautet »Empathie«. In der Patientenkommunikation ist es hilfreich, sich am Ideal des helfenden, einfühlsamen Arztes zu orientieren. Empirische Untersuchungen belegen, dass dessen Kommunikationsverhalten ein entscheidender Punkt für die Therapiezufriedenheit ist. Auch die Industrie kann durch eine empathische Ansprache die Zufriedenheit der Patienten mit ihren Produkten und Dienstleistungen steigern. Unternehmen unterliegen natürlich dem Gewinnstreben, aber dieses Interesse gerät nicht mit dem eigentlichen Ziel in Konflikt: der Bemühung um den Kranken. Dieses Credo gilt es bei allen Maßnahmen im Bereich Patientenkommunikation zu beachten, wenn sie als empathisch wahrgenommen werden sollen.
Fazit
Die Patientenkommunikation gewinnt für viele Pharmaunternehmen und Medizinprodukteindustrie an Bedeutung. Jedoch machen ein Informationsüberangebot, Noceboeffekte und mangelndes Vertrauen den kommunizierenden Unternehmen das Leben schwer. Intelligente Informationsangebote, positive Kommunikation und Empathie sind wirksame Gegenmittel.
co.patient berät Sie gerne, wie Sie mit Patienten besser kommunizieren.